Berichte und Dokumente

Avifauna auf Windbruchflächen


Heckenbraunelle
Photo: S. Kästner
Der Orkan „Kyrill“, der am 18. Januar 2007 über Europa fegte, hinterließ allein in Thüringen 6300 ha Kahlflächen, 4700 ha gelichteten Wald und verstreute Baumwürfe auf 200.000 ha (1). Auch im Beobachtungsgebiet des AKOOS lichtete sich der Wald auf weiten Flächen. Ungeachtet des großen volks- und forstwirtschaftlichen Schadens bieten die entstandenen Blößen auch eine Chance für einen Neuanfang. Die in den vergangenen Jahren bereits begonnene Umgestaltung der Wälder von Fichtenmonokulturen hin zu abwechslungsreichen Mischwäldern erfährt gerade durch dieses Naturereignis eine umfassende Bestätigung. Auf den weitläufigen Kahlflächen sind oft genug nur einzelne Laubhölzer verblieben, die nun als Überhälter den Beginn einer neuen Waldsukzession markieren (Photo). War das vergangene Frühjahr durch intensive Räumarbeiten geprägt, so bietet sich dem Vogelkundler nun die Chance, die Dynamik der Avifauna auf solchen Katastrophenflächen zu verfolgen.
Bereits im ersten Jahr haben sich Himbeeren, Brombeeren, Holunder und einzelne Weichhölzern angesiedelt. Auch der Fichtenanflug steigt an. Es wird erwartet, daß aufgrund der mühsamen und kostspieligen Beräumung großflächig Wurzelstöcke und Geäst die neuen Habitate prägen werden. Mit den neu entstandenen Blößen könnten sich jetzt Lebensräume entwickeln, wie sie in der jüngeren Vergangenheit in der Region nur selten anzutreffen waren. Durch Freiflächen und Lichtungen hat sich die Struktur dramatisch geändert. Der Grenzlinienanteil wurde erhöht, gleichförmige Altersstrukturen wurden aufgebrochen, der Lichteinfall wird nun begünstigt und die Artenvielfalt erhöht sich durch die Ansiedlung neuer Arten auf den jetzt sonnigen, warmen Standorten. Der Waldboden weist jetzt einen Strukturreichtum auf wie er vorher seltener zu finden war. Die nachfolgende Tabelle zeigt einen Überblick über die Vogelarten, die von den neu entstandenen Habitaten zunächst profitieren sollten. Es handelt sich oft um „Katastrophenarten“, die sehr schnell durch vergleichbare Naturereignisse geschaffende Flächen besiedeln können und ebenso schnell mit Voranschreiten der Sukzession wieder verschwinden.

Code Art Bemerkung
2010Haselhuhn(Tetrastes bonasia)profitiert von Blößen (Insekten, Sandbaden) und sich ansiedelnden Pflanzen (Weichhölzer, Heidekraut, Heidelbeere)
3304Baumfalke(Falco subbuteo)ehemaliger Brutvogel; wärmeliebende Art, jagt gern über insektenreichen Freiflächen; grenzlinienreiche, gelichtete Wälder wären u.U. geeignetes Bruthabitat
4720Kuckuck(Cuculus canorus)benötigt Offenland, daher gern auf Kahlschlägen; profitiert von Nahrungsangebot (Raupen), Sitzwarten (Nestersuche, Rufwarten) und Artenreichtum an Freibrütern; Programmart
4860Waldohreule(Asio otus)meidet das Innere der geschlossenen Waldungen, sollte daher von Auflockerung und Nahrungsangebot (Mäuse) profitieren
4880Waldkauz(Strix aluco)Freiflächen begünstigen u.U. Nahrungsangebot und bieten geeignete Jagdreviere
4974Grünspecht(Picus viridis)Freiflächen begünstigen Nahrungsangebot (Ameisen)
4976Schwarzspecht(Dryocopus martius)Freiflächen begünstigen Nahrungsangebot (Ameisen)
5058Neuntöter(Lanius collurio)wärmeliebende Art; besiedelt Sukzessionsflächen und Fichtenschonungen; profitiert von Nahrungsangebot und zahlreichen Brutmöglichkeiten
5430Heidelerche(Lullula arborea)ehemaliger Brutvogel; Auftreten der Art auf geeigneten Kahlflächen und ggf. sogar Brut sind nicht ausgeschlossen
5808Fitis(Phylloscopus trochilus)wird sowohl in Fichtenschonungen als auch auf Sukzessionsflächen verstärkt brüten
5810Zilpzalp(Phylloscopus collybita)wird sowohl in Fichtenschonungen als auch auf Sukzessionsflächen verstärkt brüten
5904Feldschwirl(Locustella naevia)wird vermutlich häufiger zu hören sein; aktuelle Vorkommen meist in Fichtenschonungen
6200Mönchsgrasmücke(Sylvia atricapilla)in späterem Sukzessionsstadium ist mit hoher Bestandsdichte zu rechnen
6212Dorngrasmücke(Sylvia communis)Augenmerk bei dieser Programmart auch auf Kahlflächen!
6800Zaunkönig(Troglodytes troglodytes)Eine Bestandszunahme ist bereits festzustellen. Wurzelteller und Geästhaufen bieten Nistplätze und Singwarten.
7340Braunkehlchen(Saxicola rubetra)Der Bestand hat bei uns abgenommen, brütete in der Vergangenheit oft auf Kahlschlägen.
7342Schwarzkehlchen(Saxicola rubicola)In anderen Regionen Deutschlands ist die Art immer wieder auf Windwurfflächen und Kahlschlägen als Brutvogel aufgetreten. Für unser Gebiet nicht wahrscheinlich aber möglich.
7500Heckenbraunelle(Prunella modularis)profitiert bereits vom neuen Strukturreichtum
7708Baumpieper(Anthus trivialis)Die Charakterart solcher Flächen schlechthin! Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Zahl singender Männchen enorm angestiegen. Eine Bestandserfassung bietet sich an. Mit voranschreitender Sukzession wird die Art schnell wieder verschwinden.
8008Bluthänfling(Carduelis cannabina)Der Rückgang der Art in den 1980er und 1990er Jahren blieb weitgehend unbeachtet. Auf den Kahlflächen sind bereits die ersten Paare anzutreffen. Die Art wird deutlich profitieren.
8112Goldammer(Emberiza citrinella)Abseits der ausgeräumten und intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaft bieten sich jetzt hervorragende Flächen.

Die kleine Übersicht soll eine Anregung darstellen, sich einer solchen Fläche in den nächsten Jahren zu widmen, und die Artzusammensetzung zu verfolgen. Bereits heute können signifikante Veränderung in festgestellt werden. So haben Zaunkönig und Baumpieper als Pionierarten solcher Katastrophenflächen bereits deutlich profitiert. Gerade die Bestandsentwicklung des Baumpiepers sind kann jetzt genau dokumentiert werden.

(1) Thüringer Allgemeine vom 21.12.2007, S. TC7 „Kein Erbarmen mit dem Wald“


Saalwald bei Saaldorf
Photo: S. Kästner (30.4.2008)

Zaunkönig
Photo: S. Kästner